Perspektiven in Zeiten der Krise.

Die Welt steht still. Was kann Kultur in einer globalen Krisensituation leisten? 

Sie kann stützen, motivieren, Impulse liefern, Perspektiven zeigen. 

Blieb draa!

Blieb draa!

Wer spricht in einem Museum? Diese Frage beschäftigt uns seit vielen Jahren. Das Sprechen-Dürfen ist im Frauenmuseum Hittisau weder an eine akademische Ausbildung noch an die Position im Organigramm gebunden. Die einzige Voraussetzung ist eine intensive, ernsthafte und tiefe Auseinandersetzung mit den jeweiligen Themen der Ausstellungen und Projekte.

Ob Lehrerin oder Bäuerin, Speditionskauffrau oder Grafikerin, Theaterregisseurin oder Altenpflegerin – im Vermittlungsteam des Frauenmuseum Hittisau haben die unterschiedlichsten Frauen Platz. Insgesamt sind rund zwanzig Kulturvermittlerinnen beschäftigt, die alle in der Region wohnen. Eine davon ist Renate Nußbaumer. Seit 2015 arbeitet sie als Museumsbegleiterin und Kulturvermittlerin im Frauenmuseum Hittisau. Zum Internationaler Museumstag 2020 und zum Motto “Das Museum für alle: Museen für Vielfalt und Inklusion” stellen wir Ihnen ihre Geschichte vor.

Renate Nußbaumer
*1944, Kulturvermittlerin

Renate ist die Jüngste von sechs Geschwistern. Gleich nach der Pflichtschulzeit muss sie arbeiten, im Winter „in der Fabrik“ und im Sommer auf der elterlichen Landwirtschaft. Mit siebzehn Jahren spürt sie einen starken Impuls sich weiterzubilden. Sie besucht die Haushaltungsschule Marienberg in Bregenz und belegt Kurse in Maschinschreiben und Stenografie. Danach arbeitet sie im Labor einer Dornbirner Apotheke. Die nächste Station ist ein Holzverarbeitungsbetrieb in Sulz-Röthis, bis sie 1967 ihren Mann Aneklet heiratet und in ihre Heimatgemeinde Langenegg im Bregenzerwald zurückkehrt.

Bald kommen vier Kinder, darunter Zwillinge. Sie kümmert sich um Feriengäste, bietet Zimmer mit Frühstück und später auch Ferienwohnungen an. Aber auch die gesellschaftliche Teilhabe ist ihr wichtig: Renate engagiert sich in der Gemeinde. Zwanzig Jahre lang ist sie im ÖVP Frauenbund tätig, davon 10 Jahre als Obfrau. Sie ist Mitbegründerin des Senioren-Jasserstübles. Später leitet sie es. Und fünfzehn Jahre lang ist sie im Ausschuss des Krankenpflegevereins aktiv.

Politisch aktiv in Langenegg

Dann kommt die Zeit der politischen Teilhabe auf Kommunalebene. 1990 wird sie in die Langenegger Gemeindevertretung gewählt. Edith Nußbaumer – die erste Frau überhaupt in einer Gemeindevertretung im Bregenzerwald – gibt aus gesundheitlichen Gründen ihr Amt ab. Als ihre Nachfolgerin wirbt sie Renate an. Sie zögert, und sagt dann zu. 1990 bis 1995 in der Gemeindevertretung aktiv.

Während ihrer Zeit als Gemeindevertreterin nimmt Renate öfters an mehrtägigen Fortbildungen im Bereich Pflege und Soziales im Bildungshaus Batschuns teil. Dort lernte sie zwei Frauen kennen, die im MOHI (Arbeitsgemeinschaft Mobile Hilfsdienste) im Rheintal arbeiteten und sie sehr beeindrucken. Das System des MOHI imponiert ihr und lässt in ihr die Überzeugung reifen, dass der Bregenzerwald in nicht allzu ferner Zeit „so etwas“ brauchen würde.

Das ist die Zukunft, dachte ich.

Renate Nußaumer

Ausstellung im Frauenmuseum Hittisau 2011:  FESTE. KÄMPFE. 100 JAHRE FRAUENTAG.

Ausstellung im Frauenmuseum Hittisau 2011: FESTE. KÄMPFE. 100 JAHRE FRAUENTAG.

So geht Renate zu Alois Bechter, dem Obmann des örtlichen Krankenpflegevereins und ehemaligen Bürgermeister von Langenegg. Die Idee gefiele ihm zwar prinzipiell, im Bregenzerwald sehe er aber noch keinen Bedarf für eine Einrichtung dieser Art, ist er der Meinung. Hier sei in der Pflege alles geregelt, es gäbe die Hauskrankenschwestern vor Ort, die Töchter und Schwiegertöchter seien zuhause und könnten die Pflege der älteren Generation übernehmen. Momentan! Aber vielleicht habe sie recht und dies würde sich in Zukunft vielleicht ändern.

Blieb draa, sagte er, ich höre
diese Worte immer noch ganz genau.

erzählt Renate.


Renate bleibt dran und hält Ausschau nach geeigneten Frauen, um den ersten mobilen Betreuungsdienst im Bregenzerwald zu gründen. “Frauen die schweigen können, damit kein Klatsch aus den Häusern kommt”, lautet der Auftrag von Alois Bechter. Für die angehenden MOHI-Frauen organisiert Renate Pflegekurse im Bildungshaus Batschuns. Ein Folder mit dem neuen Angebot geht an alle Haushalte und schon am Abend kommt die erste Anfrage.

Ehrenamtliche Leiterin

Drei Frauen werden im MOHI angestellt. Ein wichtiger Punkt dabei: Dadurch sind sie pensions- und krankenversichert. Renate koordiniert die Abläufe und die Einsätze und kümmert sich um die Abrechnungen. Im Gegensatz zu ihren Mitarbeiterinnen arbeitet sie als Leiterin jedoch unentgeltlich.

Ausstellung im Frauenmuseum Hittisau 2019: Sie meinen es politisch! 100 Jahre Frauenwahlrecht in Österreich. © Ronja Svaneborg

Ausstellung im Frauenmuseum Hittisau 2019: Sie meinen es politisch! 100 Jahre Frauenwahlrecht in Österreich. © Ronja Svaneborg

Nach vielen Jahren der ehrenamtlichen Arbeit in der Gemeindevertretung, im Frauenbund, im Krankenpflegeverein und beim MOHI, tritt sie 1998 eine Stelle bei der Lebenshilfe an, um sich einen Pensionsanspruch zu erwerben. Sie arbeitete acht Jahre als Betreuerin im Wohnheim der „Beschützenden Werkstätte“, damals im alten „Mesmerhaus in Großdorf“ und leistet dort Nacht- und Wochenenddienste.

Seit 2004 ist sie pensioniert, arbeitete aber noch einige Jahre als ehrenamtliche Sachwalterin beim Institut für Sozialdienste, in der Pfarrcaritas und im Pfarrgemeinderat.

Geschichten sammeln und vermitteln

Ein tiefes Interesse an Menschen und ihren Geschichten bestimmt die Arbeit, die Renate als Kulturvermittlerin leistet. Seit 2015 bereichert sie das Frauenmuseum Hittisau und dessen Sammlung mit Zeitzeug*inneninterviews, Leihgaben und Schenkungen. Sie hält regionale Geschichten fest, die ansonsten verlorengehen würden.

Ein Beipsiel ist der Nachlass der Hebamme Perpetua Schwärzler, den Renate gefunden und bewahrt hat. Die 1927 geborene Hebamme hörte sich während des Wartens bei Hausgeburten verschiedenste Familiengeschichten an, sammelte sie und ergänzte sie mit den Daten aus den Matrikenbücher der Pfarren. Auf den Rückseiten nicht mehr verwendeter Werbeplakate hat sie so eine Reihe von handgeschriebenen Familienstammbäumen erstellt. Das ist für eine Frauenmuseum von unschätzbaren Wert, sind es doch spezielle Frauengeschichten, die immer wieder im Fokus stehen. Perpetua Schwärzler und ihre Arbeit wird ein Teil unserer Jubiläumsausstellung GEBURTSKULTUR vom gebären und geboren sein.

Maria Perpetua Schwärzler verh. Gmeiner, verh. Eberle (1927-1954). Konvolut aus handbeschriebenen Stammbäumen, um 1950. Sammlung Frauenmuseum Hittisau

Maria Perpetua Schwärzler verh. Gmeiner, verh. Eberle (1927-1954). Konvolut aus handbeschriebenen Stammbäumen, um 1950. Sammlung Frauenmuseum Hittisau

Mit ihrem Einsatz und ihre Gabe zu hören und zu verstehen leistet Renate einen wesentlichen Beitrag, um regionale Geschichte zu sammeln, bewahren und zu vermitteln. Dafür danken wir ihr.

Gastbeitrag von Danielle Strahm, Theaterregisseurin (www.cafefuerte.ch) und Kulturvermittlerin im Frauenmuseum Hittisau.

Images: © Ines Agostinelli © Arcihv Frauenmuseum Hittisau © Ronja Svaneborg © Archiv Frauenmuseum Hittisau

Ein Wunder für das Selbstwertgefühl

Ein Wunder für das Selbstwertgefühl

Die weise Frau.

Die weise Frau.