Perspektiven in Zeiten der Krise.

Die Welt steht still. Was kann Kultur in einer globalen Krisensituation leisten? 

Sie kann stützen, motivieren, Impulse liefern, Perspektiven zeigen. 

Das höchste symphonische Talent unter den Frauen

Das höchste symphonische Talent unter den Frauen

Jeanne-Louise Farrenc
1804-1975
Pianistin, Komponistin, Musikwissenschaftlerin
 

Louise Farrenc war zu Lebzeiten eine gefeierte Frau. In der Revue et Gazette Musicale von 1847, einer der klassischen Musik gewidmeten französischen Wochenzeitschrift, stellte ein Rezensent fest, dass die Symphonien der Komponistin Louise Farrenc "das höchste symphonische Talent unter den Frauen" verkörperten, und fügte hinzu, dass Farrenc "nicht nur die erste ihres Geschlechts war, die sich dem Genre näherte, sondern eine, deren Symphonien viele männliche Komponisten mit Stolz geschrieben hätten". Farrenc schrieb nicht nur drei Symphonien und einen beeindruckenden Katalog von Kammermusik und Solostücken, sondern war auch eine virtuose Pianistin, eine bahnbrechende Wissenschaftlerin und die einzige weibliche Professorin am Pariser Konservatorium im 19. Jahrhundert. Unterrichten durfte sie freilich nur weibliche Studierende. Frauen durften sich bis 1870 nicht einmal in Kompositionsklassen einschreiben.

1845 wurden Louise Farrencs "Dreißig Etüden in allen Dur- und Moll-Tonarten" (Op. 26) zur Pflichtlektüre für Klavierstudierende am Pariser Konservatorium. Zwei Mal erhielt sie für ihre kammermusikalischen Kompositionen den renommierten Chartier-Preis der französischen Académie des Beaux-Arts. Sie veröffentliche eine Musikanthologie in dreiundzwanzig Bänden, acht davon mit ihrem Mann und fünfzehn allein.

Impromptu pour Piano / Louise Farrenc

Gender Pay Fairness

Louise Farrenc stand auch für ihre Rechte ein: Sie war nicht bereit, den Status quo zu akzeptieren. Nach dem Erfolg ihres eleganten Nonetts für Bläser und Streicher, bei dessen Uraufführung 1850 der Stargeiger Joseph Joachim mitwirkte, forderte sie das gleiche Gehalt wie ihre männlichen Kollegen. Der Direktor des Konservatoriums war von ihrer Arbeit so beeindruckt, dass er ihr sofort eine Gehaltserhöhung zusagte. 

Frühe Förderung

Louise Farrenc hatte im Unterschied dazu viel Unterstützung seitens ihres Umfelds. Ihre musikalische Begabung war von ihrer sehr kunstaffinen Familie früh erkannt und gefördert worden. Sie lernte als Kind Klavier zu spielen, und schon als Teenager studierte sie Musiktheorie, Komposition und Instrumentation. Im Alter von 17 Jahren heiratete sie den Komponisten und Flötisten Aristide Farrenc, mit dem sie auch auf Tournee ging. Das Paar gründete Éditions Farrenc, einen erfolgreichen Verlag, in dem Louises Werke veröffentlicht wurden. Sie interessierten sich beide sehr für Alte Musik und brachten eine 23-bändige Anthologie von Musik für Klavier und Cembalo mit dem Titel „Le Trésor des pianistes“ heraus. Im Unterschied zu anderen Zeitgenossen unterstützte ihr Mann Aristide Farrenc die Karriere seiner Frau. Ein junger Kollege bemerkte, dass Aristide "es verstand, das Talent seiner jungen Frau zu erkennen, sie zu ermutigen, ja sie geradezu zu zwingen, der Öffentlichkeit Werke zugänglich zu machen, die sie aufgrund ihrer selten anzutreffenden Bescheidenheit unveröffentlicht lassen musste". Nach dem Tod von Aristide im Jahr 1865 blieb Louise die alleinige Herausgeberin.  

Frau Farrenc hat sich gerade in der Musik durch unerhörte Leistungen hervorgetan; niemals, zumindest nicht meines Wissens, hatte eine Frau das Beispiel eines solchen Wissens in der Musik gegeben, und in dieser Hinsicht könnte sie ohne Zertifikat ins Institut eintreten; niemals hatte eine Frau diese Kenntnis der Tricks des Orchesters, diese Energie der Konzeption und des Effekts gezeigt. Unter den Männern muss Frau Farrenc ihre Rivalinnen suchen.

Castil-Blaze, Musikkritiker
La France musicale, 25. Mai 1845

NIcht so bei Fanny Mendelssohn und Clara Schumann

Dieses Glück hatten hochbegabte Musikerinnen ihrer Zeit nicht: Fanny Mendelssohn wurde sowohl von ihrem Vater als auch von ihrem jüngeren Bruder Felix, dessen Karriere ihre eigene überschattete, von der Veröffentlichung ihrer Musik abgehalten. Und Clara Schumann, die acht Kinder hatte, litt unter extremen Selbstzweifeln. "Ich habe einmal geglaubt, dass ich ein schöpferisches Talent besitze, aber ich habe diese Idee aufgegeben", schrieb sie in ihr Tagebuch. "Eine Frau darf sich nicht wünschen zu komponieren - es hat noch nie eine gegeben, die es konnte. Sollte ich erwarten, diejenige zu sein?" Ihr Mann, Robert Schumann, ermutigte sie nicht: "Kinder zu haben und ein Mann, der ständig improvisiert, passt nicht mit dem Komponieren zusammen", schrieb er wiederum in sein Tagebuch. "Clara selbst weiß, dass ihre Hauptbeschäftigung die Mutter ist".  

Trauerjahre

Louise Farrenc war am Boden zerstört, als ihre Tochter 1859 im Alter von 33 Jahren an Tuberkulose starb. Nur sechs Jahre später folgte ihr Mann Aristide. Sie komponierte nie wieder, unterrichtete aber noch bis einige Jahre vor ihrem Tod am Konservatorium. Der Nachruf der New York Times von 1875 beschrieb sie als "eine Musikerin und Komponistin von beträchtlichem Rang", doch ihre Musik geriet bald darauf in Vergessenheit.

Text: Stefania Pitscheider Soraperra

Quellen:
https://www.exploreclassicalmusic.com/louise-farrenc
https://en.wikipedia.org/wiki/Jeanne-Louise_Farrenc
https://en.wikipedia.org/wiki/Aristide_Farrenc

#StandWithUkraine

#StandWithUkraine

UNSICHTBARE FRAUEN

UNSICHTBARE FRAUEN